Montag, 16. Februar 2009

Reisend geht die Welt zu Grunde

Reisen ist wirklich schön. Man fährt woanders hin, atmet andere Luft, sieht andere Dinge. Doch Reisen ist mehr als nur ein bloßer Ortswechsel. Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss schrieb in seinem zu Recht sehr berühmt gewordenen Buch „Traurige Tropen“: "Im Allgemeinen stellt man sich das Reisen als eine Ortsveränderung vor. Das ist zu wenig. Eine Reise vollzieht sich sowohl im Raum wie in der Zeit und in der sozialen Hierarchie." Auf letztere zu blicken ist besonders spannend, denn obwohl das Reisen leider oft genug wie selbstverständlich mit kultureller Offenheit in Verbindung gebracht wird, ist es in erster Linie erstmal nur eines, nämlich: ein Luxusindiz. Wer viel reist, der ist keineswegs automatisch flexibel, offen oder erfahren – vor allen Dingen kann er sich das Reisen erstmal leisten. Leisten in dem Sinne, dass er a) die finanziellen Mittel und b) den Luxus von bezahltem Urlaub oder langen Semesterferien im Rahmen einer akademischen Ausbildung genießt. (Denkt man erstmal darüber nach, merkt man, wie klein dieser Kreis eigentlich ist.) Reisen, oder der Schatten dessen, was es sein sollte und könnte, gehört heute zur Identitätszeichnung wie Kleidung, Haus oder Fuhrpark. Wir kommen mit dem Reichtum, den wir durch koloniale Ausbeutung unzähliger Länder angehäuft haben in die Länder, von denen wir gestohlen haben, um traumhaftes Wetter und exotische Strände zu genießen. Wir nennen ihre Länder Paradiese. Für lächerlich günstige Waren verhandeln wir mit den hiesigen Schmuck- und Kunsthändlern einen immer noch niedrigeren Preis und präsentieren unser Schnäppchen dann stolz zu Hause. Gekauft haben wir von Menschen, denen es umgekehrt wahrscheinlich nie möglich sein wird, jemals unsere Heimatländer zu besuchen, aber darauf verschwenden wir lieber keinen Gedanken. Ich habe mich einmal mit einem mexikanischen Bauern in Teotihuacán, einer Ruinenstätte bei Mexiko-Stadt, unterhalten. Die Bewirtschaftung des Bodens reichte dem vierfachen Familienvater nicht, um seine Familie zu ernähren, deshalb verkaufte er selbst gefertigtes Kunsthandwerk. Die Herstellung einer kleinen Schildkröte aus Vulkanstein kostete den Mann einen kompletten Arbeitstag, verkaufen konnte er sie für umgerechnet circa zwei Euro. Beim Schleifen des Steins hatte er sich den linken Daumennagel abgerissen und viele seiner Fingerkuppen waren beschädigt oder dem Schleifstein gänzlich zum Opfer gefallen. Einen Arzt konnte er sich nicht leisten, aber ein paar verschandelte Finger zu haben, davon starb man ja nicht, und solange er nichts Schlechtes dachte und betete, standen er und seine Familie unter dem Schutz Gottes, und bisher waren sie immer irgendwie durchgekommen.

Das Verhältnis von Einheimischen zu Besuchern bleibt zumeist vom persönlichen Kontakt unberührt, dabei gibt es kaum einen Unterschied auszumachen zwischen dem typischen (ich bin mir darüber bewusst, dass ich damit eine Generalisierung vornehme) Pauschal- und dem Rucksacktouristen. Der Rucksacktourist unterscheidet sich vor allem dadurch vom Hotelghettotouristen dass er a) entweder weniger Geld hat oder b) weniger Geld ausgeben will. In seinem Paralleluniversum, in dem ihm sein Lonely Planet stets den rechten Weg leuchtet, begegnet er gleichgesinnten Pilgern, mit denen er meist darüber in einen Wettstreit gerät, wer von beiden die Worte aus der heiligen Schrift besser auswendig gelernt hat. (Der Lonely Planet kommt übrigens wie auch der Rest der Reiseführerliteratur nicht ohne fatal unreflektiert genutzte Begriffe wie „Kolonialästhetik“ oder „romantische Kolonialarchitektur“ aus, aber dies sei nur am Rande bemerkt.) Ein deutscher Freund erklärte einer wenig reisenden Mexikanerin einmal scherzhaft und äußerst treffend, dass man Lonely Planet Reisende daran erkenne, dass sie Helme trügen, damit sie beim Laufen und gleichzeitigen Lesen nicht mit den gesenkten Köpfen aneinanderstießen.


Die Pfade der Backpacker sind ausgetreten und weit entfernt von der Alltagsrealität des jeweiligen Landes, trotzdem feiert sich der Klüngel als so etwas wie die besseren, weil „alternativ“ Reisenden. Statt am Abendbuffet des Hotelbunkers zuzuschlagen sitzen sie ums Lagerfeuer und grillen Fisch, statt Sonne am Hotelpool zu tanken bevölkern sie vom Reiseführer enttarnte, ehemals versteckte Strände, und statt abendlicher Hotelanimation hängen sie nachts am Strand oder in einer der gepriesenen Backpackerbars ab. Ausgewalzte, zum Produkt verkommenen politische Nachwehen, die nur noch dazu dienen, einem kapitalistischen Hedonismus zu frönen. Andere Bucht, gleiche Aussicht.

Im Urwald auf Hängematten fläzen, ausgelutschte Manu Chao und Bob Marley Songs klampfen und den ganzen Tag Joints rauchen heißt noch lange nicht, alternativ zu sein. Ebenso wenig heißt offen zu sein, sich mal mit einem Einheimischen fotografieren zu lassen, der gerade einen Tontopf bemalt. (Bestenfalls kann das nur „I was here“ bedeuten. Und das war auf den Wänden unserer Schultoiletten als Markierung von öffentlichem Raum schon besser inszeniert.) Es ist tatsächlich ein einsamer Planet, den europäische und us-amerikanische Rucksacktouristen bewohnen. Er ist Miniaturausgabe und Nachbarplanet ihres eigenen, nur erfüllt er zusätzlich die individuellen Wunschvorstellungen bezüglich Wetter und Landschaft. Man könnte glatt dazu verfallen, sich auf die Seite der Pauschaltouristen zu schlagen: die verstecken sich zumindest nicht hinter ihrer vermeintlichen Alternativität und zelebrieren Hipness im Hippieness-Kostüm.

Was also tun, zu Hause bleiben? Natürlich nicht, denn es bleibt ja dabei, Reisen ist wirklich schön, und irgendwas nimmt ja doch jeder mit. Und natürlich sind wir nicht schuld an einer schrecklichen Geschichte, deren Nutznießer wir noch heute sind. Aber machen wir uns nicht schuldig, wenn wir uns dieser Geschichte nicht zumindest bewusst sind und sie im Hintergrund unserer Ansichten, Urteile und Handlungen nicht mitdenken? Es ist einfach falsch, sich abfällig über guatemaltekische Straßen zu äußern und in Deutschland sowieso alles besser zu finden, zugleich aber die dortige exotistische Anbetung und Übervorteilung als Europäermade im Speck zu genießen und auszunutzen. Genauso falsch erscheint es mir, einen Aufstand zu initiieren, weil man sich um einen Euro bei der Taxifahrt betrogen fühlt, der im Endeffekt noch durch vier Insassen geteilt wird und bei dem es in Wirklichkeit wahrscheinlich nur um falschen Stolz geht.

Nicht nur ein bisschen mehr Bewusstsein für die Sache, auch ein direkterer, ganz praktischer Zugang zum kulturellen Anderen kann helfen. Die Couchsurfing Community (
www.couchsurfing.com) macht vor, wie Menschen auf der ganzen Welt wirklich offen und unvoreingenommen ihre Wohnungstüren öffnen, um Fremden aus anderen Ländern und Kulturen einen Platz zum Schlafen, wertvolle Tipps und darüber hinaus auch oft eine schöne gemeinsame Zeit zu ermöglichen. Das ist doch idealer Rucksacktourismus! Ob hingegen das Konzept des Pauschaltouristen noch zu retten ist.. dazu fehlt mir momentan leider noch die Fantasie.


Montag, 9. Februar 2009

Putzen auf mexikanisch

In Mexiko ist es üblich (viel üblicher als in Deutschland), eine Putzfrau zu haben. Selbst Studenten haben oft eine „Seele des Hauses“ wie die Frauen genannt werden. Ein Jahr lang wohnte ich mit zwei Mexikanerinnen in Monterrey, der nördlichsten Industriemetropole des Landes. Anfangs war es schwer für mich, mich an die fremde Frau zu gewöhnen, die zwei Mal wöchentlich im Haus herumlief und der ich beim Frühstückmachen in der Küche, im Bad oder auf der Terrasse fast auf die Füße trat. Es war mir unangenehm, dass jemand mein Geschirr abwusch und mein Zimmer fegte, ich ärgerte mich darüber, Dinge nicht an ihrem gewohnten Platz zu finden, und ich versteckte meine Wäsche im Schrank, damit die Fremde sie nicht für mich wusch.
Neben der Putzfrau kam in der Mitte der Woche außerdem noch eine andere Frau ins Haus. Es dauerte einige Wochen bis ich verstand, dass diese nur für eine (!) meiner Mitbewohnerinnen arbeitete, hauptsächlich, um ihr Essen zu kochen, denn zu putzen war nach einem vergangenen Tag natürlich nichts. Auch diese Frau störte mich, aber wenigstens musste ich sie nicht bezahlen.
Als der Sohn unserer (also auch meiner) Putzfrau krank wurde, stand der Haushalt vor einem Problem, denn vertrauenswürdiges Reinigungspersonal gab es wenig. Als endlich jemand gefunden war, wurde die Lage noch unübersichtlicher: während die vorherige Señora immer Montags und Donnerstags kam und die Privatköchin bzw. -putzfrau meiner Mitbewohnerin am Mittwoch, hatte die Neue Montags keine Zeit und kam stattdessen dienstags. So kam es zu folgender Situation: Dienstags kam von nun an die Neue, Mittwochs die Private und Donnerstag wieder die Neue. Da am Dienstag geputzt wurde (normalerweise blieb die Putzfrau 4-5 Stunden im Haus) gab es Mittwochs außer des Essen Vorbereitens nichts mehr für die Privatputzfrau zu tun. Da sie jedoch nicht fürs Nichtstun bezahlt wurde blieb auch sie, wischte, fegte, trocknete mal hier und mal dort etwas. Dasselbe Dilemma hatte auch die Neue, denn von der Reinigung am Dienstag und dem Phantomputz vom Mittwoch war am Donnerstag natürlich auch keine Arbeit zu finden. Erschwerend kam noch dazu, dass die neue Señora ihren Job unzureichend erledigte: die Bäder machte sie auch auf mehrmalige Anfrage überhaupt nicht sauber und auch der Rest des Hauses wurde nur halbherzig und oberflächlich geputzt. Ich war aufgebracht und konfrontierte meine Mitbewohnerinnen mit der für mich so logischen Frage nach dem Warum. Doch das was für mich so nervenaufreibend unsinnig und verschwenderisch war, erzeugte bei ihnen nicht viel mehr als ein gleichgültiges Schulterzucken. Offensichtlich verbarg sich hinter dem Thema mehr als ich anfangs angenommen hatte. Ich begriff, dass der Konflikt sich nicht auf Logik sondern auf Mentalitätsunterschiede gründete. Es kam gar nicht so sehr darauf an, dass die Frauen ihren Job gut machten, vielleicht ein eher deutscher Anspruch. Wichtiger war, dass das System sich trug. Das Personal war ein Basiselement des sozialen Status, man hatte einfach eine Putzfrau und Basta. Die Privatputzfrau einer der Mexikanerinnen war vor meiner Zeit auch für alle Bewohner zuständig, war jedoch noch schludriger gewesen als die aktuelle. Man hatte es nicht übers Herz gebracht, sie zu kündigen, stattdessen hatte man die Alternative der Privatputzfrau gefunden. Bei der Neuen lief es ähnlich. Welche Wahl hätten sie gehabt, selbst wenn sie ergebnisorientiert gedacht hätten, als sich der Putzplan als ein Programm aus drei aufeinanderfolgenden Tagen herausstellte ? Sie deswegen nicht nehmen? Undenkbar. So übersieht man stattdessen das Rationale. So lässt man die Leute wischen, auch wenn das nur ein Verwischen von Effizienz ist. Man lässt sie waschen, selbst wenn es nur ein Verwässern ist, von Möglichkeiten des Über- und Weiterdenkens. Außer mich stört das niemanden, denn dieses Verwischen und –waschen ist ein Phänomen, dass nicht nur hinter verschlossenen Haustüren, sondern ganz im Gegenteil, in allen sozialen Bereichen mexikanischen Lebens stattfindet und meiner Meinung nach ein Grund ist für viele Probleme, die Mexiko nicht bewältigt bekommt.