Montag, 11. Januar 2010

Das Phänomen Kurt Krömer oder Wie man sich korrekt politisch unkorrekt verhält

Ich habe ein schwierig zu überwindendes, nein, wir wollen bei der Wahrheit bleiben, genüsslich gepflegtes Vorurteil: Leute, die in die Shows von großen Stand-Up Comedians gehen, sind eine ganz übler Schlag Mensch. Mit ihrem gestörten Verhältnis zu Humor sitzen sie da in ihren Klappsesseln, lassen sich 2½ Stunden bespaßen und haben auf Knopfdruck plötzlich so richtig gute Laune. Mit Herunterlassen des Vorhangs ist der Spaß allerdings schnell vorbei: Die Leute, die sich gerade noch vor Lachen die Hände auf die Schenkel geklopft haben, seilen mit Verlassen ihres Sitzes augenblicklich die dauerfrustrierten Mundwinkel in ihre Ursprungsposition ab und warten streitsüchtig darauf, dass im zum kostspielig erworbenen Veranstaltungsticket integrierten Servicebetrieb endlich ein Fauxpas begangen wird. Diese Verunsicherungstaktik, egal ob bei der Garderobe, der Bar oder am Bratwurststand angewendet, schlägt erfahrungsgemäß irgendwann an, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann jemand die „DAS-KANN-JA-WOHL-NICH-WAHR-SEIN“-Packung kassiert. Diese Art Publikum scheint irgendwie mit dem Genre an sich zusammenzuhängen und lässt sich auch bei Komikern, die die humoristische Niveaustufe eines Mario Barths oder Atze Schröders weit hinter sich lassen, leider nicht fernhalten.

Durch Zufall verschlug es mich trotz dieser Vorbehalte kürzlich in die Show von Kurt Krömer – und siehe da, da waren sie wieder, meine vorurteilsnährenden Forschungsobjekte. Was das Publikum anging gab es an diesem Abend wenig Überraschungen, ganz anders sah es mit Krömers neuem Bühnenprogramm aus. Während bei „Na, du alte Kackbratze“ noch recht beliebige, genretypische Episoden aneinander gereiht wurden, war die Krömersche Darbietung jetzt lebendiger, assoziativer und mutiger und als Gesamtkonzept sehr überzeugend. All das, was das öffentliche Berlin eigentlich so unansehnlich macht – das kultivierte Meiden von Kontakt, der in der U-Bahn trainierte, starr am Anderen vorbei gelenkte Tunnelblick, die Stille, die wenn überhaupt dann rotzig formulierten Antworten – all das verkehrt Alexander Bojcan, wie Krömer laut Personalausweis heißt, um. Ein Krömer würde in der U-Bahn sofort einen Plausch halten, sich mit jemandem anlegen, einer attraktiven Frau seine Telefonnummer aufdrängen, die Schlagzeilen der Bild im Berliner Fenster vorlesen oder lauthals über die BVG meckern. In der Konzentriertheit der Figur Krömer zeigt sich die ganz spezielle Verbundenheit, die man als Berliner zu dieser verschrobenen Mentalität empfinden kann. Denn die Figur Krömer als gewissermaßen personifiziertes Alt-Berlin bewahrt uns ein Stück Berliner Urkultur, die vom Aussterben bedroht ist. Als typische Neuköllner Atze trägt Kurt Krömer sein Herz auf der Zunge, beschwert sich permanent über andere, die er im selben Atemzug beleidigt und gibt den narzisstischen Schlauschwätzer. Dass es in diesem Redefluss unermüdlich verbale Entgleisungen hagelt ist dabei kein Verlust, sondern ein Gewinn für die Figur. So imitiert Herr Krömer beispielsweise seinen Nachbarn Ali, der im 5. Stock über ihm wohnt, in dem er am Fenster Alis „typisch orientalischen“ Teppich ausklopft: „Na Ali, springta nich an?“ Super. Von diesen Beispielen gibt es unzählige in Krömers neuer Show, gänzlich schamfrei und unverkrampft kostet er die volle Bandbreite an Konstruktionen vom Anderen aus, seien es Frauen, Schwule, Türken, Ossis oder Spandauer. Als Stammtisch-Kalauer wäre diese Art von Witzen inakzeptabel wenn nicht gar gefährlich, wenn Krömer das macht, kann und sollte man darüber lachen. Krömer sagt, dass er in China ja bereits Kult ist, Kult Klömel. Das ist tatsächlich lustig wenn er das sagt.

Bojcan als Krömer darf sexistische und rassistische Witze machen, weil die Figur ironisiert und vielfach gebrochen wird. Während er sein fixes Weltbild jedem der es hören oder nicht hören will um die Ohren schleudert, ist er ständig in regem Kontakt zu seinen Mitmenschen, konfrontiert diejenigen mit seinen Vorurteilen, gegen die sie sich richten, schafft Räume für Interaktion. Die Unreflektiertheit und Beliebigkeit seiner Urteile trägt er offen zur Schau und exponiert damit nicht zuletzt auch ihre Lächerlichkeit. Das macht den Feinsinn des Krömerschen Humors aus. Vorurteile sind nicht immer mit Rassismus oder Sexismus gleichzusetzen, es handelt sich um vielschichtige, irrationale Verhaltensmuster, die, nach außen getragen, sogar eine eigene Produktivität entwickeln können. Die Kriterien um zu entscheiden, ob etwas angemessen ist oder nicht, sind schwer wenn nicht gar unmöglich zu definieren und allzu oft entziehen sich einer allgemeinen Bewertbarkeit.

Kurt sagt, dass er vertraglich zugesichert hat, keine Witze über Polen zu erzählen, seine musikalische Bühnenbegleitung ist nämlich Pole und das wäre unfein, Polenwitze in Gegenwart eines Polen zu erzählen. Immer wieder setzt er an, besinnt sich dann aber eines Besseren und sucht sich andere Opfer, doch am Ende, wie sollte es anders sein, kann er sich doch nicht beherrschen und er platzt mit drei Schenkelklopfern über das Autos klauende Nachbarvolk heraus. Das Lachen darüber blieb mir jedoch im Halse stecken als ich mir einiger meiner humorlosen Publikumsgenossen ansah – verstanden sie den ironischen Aspekt des Witzes oder würden sie den Brüller aus der Show gleich morgen ihren Freunden weiter erzählen? In dieser Möglichkeit, Krömer nur auf der Textebene zu lesen, besteht die Schwierigkeit der Figur. In diesem Zusammenhang war ich dankbar, als Krömer zwischendurch einen wie diesen auspackte: "Ja, ick habe Kontakt zu Schwulen. Und jetz sag ick Ihnen noch watt, da wern se staunen: ick habe sogar Kontakt zu Ausländern! Und jetze verrat ick ihnen noch ne janz heiße Info, halten se sich fest: DIE MAUER IS WEG!“

Viele Berliner, die Krömer lustig finden, gehen deswegen noch lange nicht in seine Stand-Up Comedy-Show in den Admiralspalast. Und viele der hier im Publikum sitzenden Leute könnten sich wahrscheinlich im Leben nicht vorstellen, in Neukölln zu wohnen. Zwischen dem inhaltlichen Witz und der Form der Darbietung gerät also irgendwie etwas abhanden, es verändert sich etwas oder es kommt etwas dazu. Wie ein Übertragungsfehler, eine Sendestörung. Dass das Prinzip Krömer nicht zu 100 Prozent aufgeht ist schade, zumindest für mich an diesem Abend. Ob das den Mann hinter Krömer interessiert? Ob Kurt Krömer so etwas wie Sendungsbewusstsein hat? Man weiß es nicht. In einem Interview im Tagesspiegel im September 2006 äußerte sich Bojcan zum Thema politische Korrektheit noch folgendermaßen: „Was habe ich denn davon, wenn ich meine muslimischen Mitbewohner verarsche? Ich mache mich nicht über Ausländer lustig, sondern über Ausländerfeinde. Ich mache doch auch keine Polenwitze, wie man sie vor zehn Jahren über Ostfriesen erzählt hat. Nur wegen der Pointe.“ Diese Meinung hat Alexander Bojcan offenbar geändert. Und dazu kann man ihn, trotz aufkommender Fragen und zaghaftem Unbehagen, nur beglückwünschen.