Donnerstag, 22. Januar 2009

Brief an Noah Sow

Im Folgenden veröffentliche ich einen Leserbrief, den ich an Noah Sow bzw. an die Redaktion ihres Anfang 2008 erschienen Buches "Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus" geschickt habe. Obwohl ich nicht weiter auf den Inhalt des Buches eingehen werde und der Brief eine direkte Reaktion auf eben diese Inhalte ist, lässt sich bestimmt auch ohne vorherige Lektüre des Buches nachvollziehen, worum es mir bei diesem Thema geht. Da es auf der Seite www.deutschlandschwarzweiss.de leider keine Möglichkeit des aktiven Austauschs besteht, sondern nur vereinzelte Zitate aus Leserbriefen veröffentlicht werden, veröffentliche ich meine Meinung (wo sonst?) eben hier. Und hier nun der O-Ton:


Liebe Noah,

ein weißer Freund hat dein Buch gelesen und mir davon erzählt. Das hatte zur Folge, dass eine vierstündige Busfahrt uns sehr kurz vorkam. Er hat mir viele Fragen gestellt, ich habe ihm von meinen persönlichen Erfahrungen erzählt, und ein paar Wochen später hat er mir dein Buch in die Hand gedrückt, damit ich es ganz lese. Ehrlich gesagt war ich nicht allzu interessiert, schließlich (wie du es ausgedrückt hast) hatte ich den Film ja schon 15 Mal gesehen, kannte ihn im Grunde auswendig und zugegebenermaßen war es auch nicht gerade mein Lieblingsfilm. Ich habe trotzdem gelesen und dabei ist mir aufgefallen, dass es zwar der gleiche Film werden, ich ihn mir dieses Mal aber mit einem anderen Publikum angucken würde. Und das hat mich dann doch neugierig gemacht. Trotz der vielen alltäglichen Rassismen, denen man als schwarze Deutsche (die ich bin) ausgesetzt ist, konnte ich das Buch schließen mit einem befriedigten „Es dreht sich was in Deutschland“, denn Literatur zum Thema kreuzt immer wieder meinen Weg, und die Machart deines Buches wird dir sicherlich viel Öffentlichkeit vergönnen; weil es eben nicht nur die „Sparten-“Interessierten anspricht, sondern die, die es eigentlich nicht verlangt haben und auch der Meinung sind, sie bräuchten es gar nicht. Ich habe „Deutschland Schwarz Weiß“ in zwei Tagen gelesen und obwohl ich als „Betroffene“ (ich setze das in Anführungszeichen, denn ich fühle mich nicht als Opfer und im Übrigen gefällt mir der Ton des Buches gerade deswegen, weil es uns Schwarzen keine Opferrolle zuschanzt) sowohl Prolog, retardierendes Moment und Schluss bereits kannte, denke ich beim Duschen, Wäsche aufhängen oder vorm Einschlafen noch darüber nach, und es kommen mir Fragen, Einwände und ergänzende Kommentare. Und weil ich nicht so gerne schizophrene Selbstgespräche führe, schreibe ich dir diesen Brief.

„Wo kommst du her?“, „Darf ich mal ein Foto von dir schießen?“ Haare anfassen, glotzen und dabei zur Salzsäule erstarren, diese Dinge passieren mir jeden Tag, und die Anzahl solcher Vorfälle wächst potentiell mit den Stunden, die ich auf der Straße verbringe – allerdings befinde ich mich nicht in Deutschland, sondern in Mexiko. Ich studiere hier Journalismus und dachte, wenn ich Deutschland verlasse und in ein Land voller brauner Menschen gehe (wie soll man die Mexikaner eigentlich nennen? Schwarze sind es ja nun nicht. Sie selbst nennen sich „hijos de la chingada“ = Söhne der Gefickten, aber das dürfen natürlich nur sie selbst tun) würde ich neutraler wahrgenommen werden. Aber denkste, Puppe! In Mexiko bin ich um ein vielfaches mehr Ausstellungsobjekt als ich es in Deutschland bin, was natürlich auch an den anderen historischen Verläufen liegt, denn Mexiko ist kein Einwanderungsland und in seiner ethnischen Bevölkerungszusammensetzung (bezogen auf seine jüngere Geschichte nach der Unabhängigkeit) im Gegensatz zu Deutschland viel homogener. Ein fremd aussehender Mensch ist hier schlichtweg einfach kein Mexikaner, heute jedenfalls noch nicht und auch in naher Zukunft nicht. Aber auch wenn ich hier nicht das Recht habe, mich als inhärenter Teil der Gesellschaft zu fühlen, bin ich als Fremde ständig in Informationszwang – woher kommst du?, Was machst du hier?, Wie lange bleibst du hier?, Wo wohnst du?, Wo ist deine Familie? und in Dauerschleife abgefeuerte Allgemeinplätze über Europa, Deutschland und Hitler nehmen mir meinen privaten Raum, setzen über mein persönliches Ich den ethnischen und kulturellen Stellvertreter, geben dem Mexikaner ein vermeintliches Recht, mich ungehindert ausfragen und anfassen zu dürfen. Phänomene einer rassistischen Behandlung, jedenfalls in Deutschland. (Das Geschilderte passiert jedoch genauso den Weißen hier, nebenbei bemerkt.) Im Gegensatz zu weißen Deutschen haben Mexikaner jedoch kein unbewusstes Herrschaftsdenken, diesem leidlichen Anspruch, der dem (Durchschnitts-)Europäer wohl in die geistige Wiege gelegt wurde. Sie selbst leiden unter Unterdrückung, Rassismus (z. B. ausgehend von den USA oder auch innerhalb des Landes die Mestizen gegen die Indigenen) und unter geistiger und wirtschaftlicher Abhängigkeit. Was mir hier an Fragen, Deutungen und Wertungen über Europa so aufgetischt wird ist allerhand. Mexikaner sehen (sowie wohl die meisten kolonisierten Völker dieser Erde) Europa als das Höchste der geistigen und kulturellen Schöpfung, Europäer sind nicht nur offensichtlicher reicher, mächtiger und fortschrittlicher als der Rest der Welt, nein, sie sind es offenbar sogar zu Recht! Außerdem sind sie eben auch schöner, schlauer und einfach besser als sie selbst. Positiver Rassismus? Mit jedem Europäer der hier auftaucht verfestigt sich dieses Bild, und beide Seiten geben das ihrige dazu, um den Status Quo weiter zu zementieren. Kein Europäer, der nicht jeden Tag mehrfach Freundschaftsanfragen auf der Straße aufsammelt, denn mit einem Europäer lässt sich das eigene Ego prima aufmöbeln (wer einen Franzosen bekommt hat übrigens den Jackpot geknackt). Und der Europäer würde einen Teufel tun, das auf ihn projizierte Bild in Frage zu stellen, bei allen Vorteilen die er dadurch genießt.

Ähnlich wie sich viele Europäer in so genannten Entwicklungsländern aufführen und ihre Herrschaftsattitüde von dem Glauben ihrer Untergebenen vor Ort gespeist wird, so nährt sich das System aber auch in Deutschland oft genug von beiden Seiten, wenn Schwarze ihre Rollen annehmen (ich rede hier nur vom sog. positiven Rassismus, wobei ich hoffe, dass bald jemand einen angemesseneren und weniger irreführenden Begriff dafür finden wird). Solange zum Beispiel Künstler wie Joy Denalane Alben veröffentlichen, für die sie zur Inspiration nach Südafrika fliegt, um auf der Bühne mit brennenden Mülltonnen vom Elend in den Ghettos von Soweto zu singen, von dem sie keine Ahnung hat oder klischeebeladene, vorurteilsvertiefende Filme wie „Leeroy“ als erste Schwarze Deutsche Komödie auf die Deutschen losgelassen werden oder alles was jung, attraktiv und „exotisch“ aussieht in die hiesigen deutschen Peopleagenturen rennt, um konservativen Unternehmen ein cooles Werbeimage zu verpassen, muss man die Kritik auch dorthin richten und es als symbiotisches System anerkennen, das es oft genug auch ist. Jedem Tierchen sein Plaisierchen, ich will nicht sagen, dass es ab sofort für Menschen mit hybrid-kulturellem Hintergrund verboten sein muss, das zu tun, was man tun will. Ich möchte nur zu bedenken geben, dass die Rollen, die Andersaussehenden in dieser Gesellschaft zugewiesen werden viel zu oft und gern auch angenommen werden.
Du hast geschrieben „Rassismus ist kein schwarzes, sondern ein weißes Problem.“ aber das glaube ich nicht. Rassismus ist ein urmenschliches Problem, und er macht vor niemandem halt, auch lesbische schwarze Behinderte können einem Anderen gegenüber Rassisten sein! Viele Schwule schreien begeistert auf wenn sie meine Haare sehen, sie fetischisieren es als wild, selbstbewusst oder einfach total hip. Aber wo ziehe ich die Grenzen? Bin ich Rassist, weil ich auf Afrohaar stehe? (In Mexiko gibt es übrigens den Glauben, dass man etwas Schönes anfassen muss, damit es nicht verwunschen wird und ihm nichts Böses zustößt.) Fassen Menschen vielleicht auch meine Haare an weil sie, im Gegensatz zu Kontaktversuchen mit anderen, ähnlicher aussehenden Menschen, ein Anknüpfungspunkt sind, um mit mir zu kommunizieren? Weil sie so anders sind als das, was sie gewohnt sind, dass sie es aus Faszination und Neugierde anfassen? (ein urmenschlicher Impuls, dem vielleicht einfach viele verlernt haben, nachzugehen?) Unterstelle ich nicht durch meine negativen Erfahrungen mit Menschen, die mich nicht respektierten, dass die Gründe, mich anzufassen immer zwangsläufig diese selben, nämlich fehlender Respekt und geringe Wertschätzung, sind? Mir haben auch schon indigene, von der mexikanischen Gesellschaft ausgegrenzte und diskriminierte Menschen in die Haare gefasst. Bin ich (als Schwarze) Rassistin, weil ich auf weiße Männer mit grünen Augen abfahre? Ist Boris Becker Rassist weil er immer dunkelhäutige Freundinnen hat? (und wem gegenüber, den Dunkelhäutigen oder den Weißen?) Die Grenzen zwischen persönlichen Vorlieben, Exotismen und Rassismen sind doch so porös, dass man oftmals das eine vom anderen gar nicht unterscheiden kann - genau das ist für mich das heimtückische und so scheiß gefährliche am Rassismus. (Ich empfehle dazu das wunderbare Buch „Achtung Vorurteile!“ von Sir Peter Ustinov, der weltweit drei Lehrstühle zum Thema Vorurteilsforschung ins Leben gerufen hat).

All das geht mir im Kopf herum nachdem ich dein Buch gelesen habe, wobei ich nichts von dem worüber du schreibst verharmlosen oder verwässern möchte, ganz im Gegenteil. Trotz Dauerschleife haben ein paar deiner vielen Beispiele auch mir wieder Kopfschütteln bereitet und ich danke dir dafür, dass ich in Zukunft weniger Energie in das Gegenargumentieren verwenden muss und stattdessen einfach öfters mal dein Buch empfehlen, verleihen oder verschenken kann. (Das geschriebene Wort galt den Deutschen ja schon immer mehr als das gesprochene.) Zum Schluss möchte ich nur noch kurz mein persönliches Lieblingsmedienbeispiel zum Thema erzählen, es stammt (!) aus „Wer wird Millionär“, Deutschlands liebster Primetime Unterhaltungsshow mit Everyones Darling Günther Jauch. Und so trug es sich zu:

Die Kandidatin ist eine Frau mittleren Alters die „in Afrika“ (Details bleiben im Dunkeln* im Dunkeln? Ist das nun schon rassistisch formuliert?) in der Entwicklungshilfe gearbeitet hat. Gefragt nach einem Fluss in Ostdeutschland (rote Wuchtel, gelbe Lahe, schwarze Gähr oder lila Nuther, mal vorsichtig nachgedichtet) muss sie einen Freund anrufen, der AUCH in Afrika in der Entwicklungshilfe gearbeitet hat. Der Kollege am Telefon hat leider nicht die geringste Ahnung und gibt als Entschuldigung noch mal zur Verdeutlichung zum Besten, dass er ja so lange in Afrika gearbeitet hat und sich deshalb (ach so) nicht mit ostdeutschen Flüssen auskenne. Joker vergeigt, Kandidatin enttäuscht. Günther Jauch kommentiert die Situation: „Na super, das hat`s ja gebracht, den können wir ja direkt wieder zurück in den Busch schicken.“. Lachteppich des im Studio sitzenden Publikums und auch die Frau lacht, hi-hi, ha-ha. Was dabei in meinem Kopf herum ging kannst du dir sicherlich denken:

1_ Es musste nicht näher darauf eingegangen werden in welchem Land die Kandidatin gelebt und gearbeitet hat, die Stichworte „Afrika“ und „Entwicklungshilfe“ reichten aus, um uns ein Bild vom heroischen Einsatz der weißen Deutschen zu geben, die armen Afrikanern dabei hilft, sich zu entwickeln.

2_ Günther Jauch, persona non grata der öffentlichen Meinung, glaubt, ganz Afrika bestünde aus Busch.

3_ Busch (also Afrika und die Afrikaner) assoziiert Günther Jauch mit Dummheit und fehlender Bildung, und führt das darauf zurück, dass man irgendeinen x-beliebigen ostdeutschen Fluss nicht kennt. Hätte die Frau den Publikumsjoker gezückt, hätte er die vermutlich so an die 90% Nichtwissenden auch gleich mitverfrachten müssen.

4_ Unnütze Buschdummheit, die das Wissen um ostdeutsche Flüsse ausgrenzt, wollen wir in Deutschland nicht (und schicken es deshalb dahin zurück wo es herkommt, denn aus unseren Reihen kommt das ja sicherlich nicht).

5_ Das Sahnehäubchen: alles lacht mit, nicht nur das Publikum, sondern auch die ja so Afrika erfahrene Kandidatin.

Ich habe weder mein Essen noch dieses Trauerfernsehspiel an diesem Abend gut verdaut gekriegt und habe in den darauffolgenden Tagen vergeblich nach einer Medienreaktion gesucht. Zu dieser Zeit habe ich gedacht, dass es einfach nicht sein kann, dass wir als Schwarze im Gegensatz zu anderen sich als Gruppen bestimmenden Menschen wie Juden, Homosexuellen etc. keine entsprechenden Stellen, also keine Lobby in Deutschland haben. Heute bin ich zuversichtlich, dass es diese Stellen in Zukunft geben wird wenn es weiterhin Leute gibt wie dich, die sich trotz festgetretener Erde ans Umgraben des Gartens machen. Beim nächsten Mal packe ich mit an und schreibe nicht dir mein Beispiel von „Wer wird Millionär“, sondern richte das Wort an Herrn Jauch und den betreffenden Verantwortlichen von RTL persönlich.

Danke für den konstruktiven Aktivismus und die Inspiration! Viele Grüße und gute Vibrations für 2009,

Gigi Fakunmoju


Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. C. Bertelsmann Verlag 2008

Montag, 5. Januar 2009

In the mood for love

Die Industriemetropole Monterrey, mit Guadalajara die zweitgrößte Stadt Mexikos, ist nicht gerade das, was man als Europäer mit hohem qualitativem Lebensstandard verbinden würde. Für die Einwohner ist das anders, denn nirgendwo in Mexiko ist das Pro-Kopf-Einkommen so hoch, gibt es soviel Arbeit, haben die Menschen so viel Geld. Monterrey ist die teuerste Stadt Mexikos (für das europäische Niveau natürlich trotzdem noch lächerlich günstig) und bezahlt seine kapitalistische und US-amerikanische Ausrichtung offenbar mit dem fast gänzlichen Fehlen von Kulturraum. Trotz der mehr als vier Millionen Einwohner ist der Zirkel an Kunst- und Kulturschaffenden höchst überschaubar: so gibt es zum Beispiel außer den großen, repräsentativen Museen kaum unabhängige Galerien und Ausstellungen und das Theater beschränkt sich fast ausschließlich auf flache Volkskomödien. Die Kinolandschaft bilden genau zwei in ganz Mexiko verbreitete Ketten mit überwiegendem Mainstream Programm, hinterher tröpfeln nur vereinzelte Vorführungen in den spärlich gesäten, alternativen Kulturzentren.
Eines dieser besagten Zentren fiel mir eines Tages ins Auge. Gezeigt werden sollte „In the mood for love“ von Wong Kar-Wai, jener Film um die hoffnungslose Liebe zwischen zwei mit jeweils anderen Partnern verheirateten Menschen. Um diese cineastische Bildungslücke zu schließen, machte ich mich mit einer Freundin also auf die Suche nach dem Kino. Angekommen waren wir ganz verzückt – der Ort war mehr Videothek als Kino und hatte alles was das Herz des Filmfreundes begehrte im Repertoire. Da standen von Triers neben Buñuels und Godards neben Allens, alle säuberlich aufgereiht und bereit zur Ausleihe. Zu alldem Überfluss bot der Laden sogar Kaffee an (eine Café Kultur gibt es in Monterrey nämlich auch nicht, außer man möchte Starbucks und das McCafé als solche bezeichnen). Im Kaffee- und Kinohimmel stöberten wir uns also erstmal durch die Regale. Außer uns und dem verstrahlten Typen, der uns Kaffee machte, war kein Schwein im Laden und unser Ansprechpartner machte auch kurz vor Vorstellungsbeginn so gar keine Anstalten, Instruktionen über den weiteren Verlauf des Kinobesuchs zu geben. Ich sprach ihn also selbst an und fragte nach dem Film. „Welcher Film?“ „Na, In the mood for love.“ Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet und so zeigte ich ihm die in meiner Zeitung abgedruckte Information. „Ach so, ja. Ja gut, dann guckt euch den halt an“, sagte der Verstrahlte und suchte das Regal gemächlich nach dem Film ab, zog ihn schließlich heraus und verschwand in einen der hinteren Räume. Als er zurückkam war er für seine Verhältnisse richtig lebendig und sagte: „Es sind noch zwei andere Leute gekommen, ihr könnt also im großen Saal gucken“.
Der große Saal stellte sich heraus als ein drei Mal drei Meter großer Raum mit Flachbildfernseher und DVD-Player, zwei Sofas und einem spießigen Couchtisch mit mittig positionierter Blumenvase. Ein sensationeller Moment. Die angekündigten Anderen, ein eng aneinander gefläztes und uns feindselig beäugendes Pärchen, hatte sich bereits vorm Bildschirm postiert (komisch, wo und wie waren die denn unbemerkt reingekommen? Hatten wir doch die Veranstaltungsinfo als erste brandheiß ans Fachpersonal weitergegeben..). Wir setzten uns auf das noch freie Sofa, begrüßten die Anderen und bestellten beim Verstrahlten die üblichen Dosenbiere. Dann legte er noch den Film ein, erklärte uns die Fernbedienung und ab der Film. Die große Ernüchterung kam dann nicht nur durch das aufmüpfige Aufsurren der Klimaanlage, die bei 38 Grad Außentemperatur unerbittlich 15 Grad kalte Chemoluft in den Raum blies, sondern auch durch „In the mood for love“ selbst, den ich – ich hatte es verdrängt – schon mindestens fünf Mal auf den dritten Kanälen in Deutschland zu einem Drittel oder Viertel oder Achtel gesehen hatte und der mich durch seine wanna be arty Ästhetik schon viele Male zum Umschalten gezwungen hatte. Hier ging das nun leider nicht und so inspizierte ich aus Mangel an Alternativen diese ziemlich abstruse Räumlichkeit etwas genauer. Neben der Tür, durch die wir hereingekommen waren, gab es noch eine andere Tür, die, pikant pikant, in ein kleines Badezimmer mit Dusche führte. Außerdem war die Außentür doch tatsächlich mit einem Riegel von innen verschließbar! Der eigentliche Sinn dieses Etablissements war nun auch uns klar, und sieh da, damit erklärte sich auch der pathologische Gesichtsausdruck des gelangweilt Erdnüsse vertilgenden Pärchens auf Sofa Número Uno. Pärchen hatte den Titel des Films sicher nur als illustres Beiwerk gewählt und wir hatten ihnen die Nummer ordentlich versaut. Halb erfroren suchten wir noch während des Abspanns verschämt das Weite und auf dem Weg nach draußen fiel mir noch der lange Flur mit den vielen anderen Türen auf, die wohl zu den „kleinen Sälen“ führten.

Das Aufspüren von Kulturbetrieben war in Monterrey immer schon ein Abenteuer gewesen, wenngleich es nicht immer so kafkaesk zuging wie an diesem Abend. Später nachgefragt fand ich heraus, dass vielen jungen Mexikanern in Monterrey das Motel im Videothekenkostüm natürlich bekannt ist. Für unser Pärchen, das wir durch unsere Anwesenheit ja gewissermaßen gezwungen hatten, den Film anzusehen, war das Gezeigte dann wohl weniger illustre Untermalung als ironisches Reality TV: nach einem gescheiterten Treffen in ihrem „Hotelzimmer 2046“ trennten auch sie sich an diesem Abend sehnsüchtig, um frustriert zurückzugehen in ihr eigenes Dogma, ergo in ihre Familien, von denen so viele den vorehelichen Sex nach wie vor als Sünde verurteilen.