Montag, 11. Januar 2010

Das Phänomen Kurt Krömer oder Wie man sich korrekt politisch unkorrekt verhält

Ich habe ein schwierig zu überwindendes, nein, wir wollen bei der Wahrheit bleiben, genüsslich gepflegtes Vorurteil: Leute, die in die Shows von großen Stand-Up Comedians gehen, sind eine ganz übler Schlag Mensch. Mit ihrem gestörten Verhältnis zu Humor sitzen sie da in ihren Klappsesseln, lassen sich 2½ Stunden bespaßen und haben auf Knopfdruck plötzlich so richtig gute Laune. Mit Herunterlassen des Vorhangs ist der Spaß allerdings schnell vorbei: Die Leute, die sich gerade noch vor Lachen die Hände auf die Schenkel geklopft haben, seilen mit Verlassen ihres Sitzes augenblicklich die dauerfrustrierten Mundwinkel in ihre Ursprungsposition ab und warten streitsüchtig darauf, dass im zum kostspielig erworbenen Veranstaltungsticket integrierten Servicebetrieb endlich ein Fauxpas begangen wird. Diese Verunsicherungstaktik, egal ob bei der Garderobe, der Bar oder am Bratwurststand angewendet, schlägt erfahrungsgemäß irgendwann an, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann jemand die „DAS-KANN-JA-WOHL-NICH-WAHR-SEIN“-Packung kassiert. Diese Art Publikum scheint irgendwie mit dem Genre an sich zusammenzuhängen und lässt sich auch bei Komikern, die die humoristische Niveaustufe eines Mario Barths oder Atze Schröders weit hinter sich lassen, leider nicht fernhalten.

Durch Zufall verschlug es mich trotz dieser Vorbehalte kürzlich in die Show von Kurt Krömer – und siehe da, da waren sie wieder, meine vorurteilsnährenden Forschungsobjekte. Was das Publikum anging gab es an diesem Abend wenig Überraschungen, ganz anders sah es mit Krömers neuem Bühnenprogramm aus. Während bei „Na, du alte Kackbratze“ noch recht beliebige, genretypische Episoden aneinander gereiht wurden, war die Krömersche Darbietung jetzt lebendiger, assoziativer und mutiger und als Gesamtkonzept sehr überzeugend. All das, was das öffentliche Berlin eigentlich so unansehnlich macht – das kultivierte Meiden von Kontakt, der in der U-Bahn trainierte, starr am Anderen vorbei gelenkte Tunnelblick, die Stille, die wenn überhaupt dann rotzig formulierten Antworten – all das verkehrt Alexander Bojcan, wie Krömer laut Personalausweis heißt, um. Ein Krömer würde in der U-Bahn sofort einen Plausch halten, sich mit jemandem anlegen, einer attraktiven Frau seine Telefonnummer aufdrängen, die Schlagzeilen der Bild im Berliner Fenster vorlesen oder lauthals über die BVG meckern. In der Konzentriertheit der Figur Krömer zeigt sich die ganz spezielle Verbundenheit, die man als Berliner zu dieser verschrobenen Mentalität empfinden kann. Denn die Figur Krömer als gewissermaßen personifiziertes Alt-Berlin bewahrt uns ein Stück Berliner Urkultur, die vom Aussterben bedroht ist. Als typische Neuköllner Atze trägt Kurt Krömer sein Herz auf der Zunge, beschwert sich permanent über andere, die er im selben Atemzug beleidigt und gibt den narzisstischen Schlauschwätzer. Dass es in diesem Redefluss unermüdlich verbale Entgleisungen hagelt ist dabei kein Verlust, sondern ein Gewinn für die Figur. So imitiert Herr Krömer beispielsweise seinen Nachbarn Ali, der im 5. Stock über ihm wohnt, in dem er am Fenster Alis „typisch orientalischen“ Teppich ausklopft: „Na Ali, springta nich an?“ Super. Von diesen Beispielen gibt es unzählige in Krömers neuer Show, gänzlich schamfrei und unverkrampft kostet er die volle Bandbreite an Konstruktionen vom Anderen aus, seien es Frauen, Schwule, Türken, Ossis oder Spandauer. Als Stammtisch-Kalauer wäre diese Art von Witzen inakzeptabel wenn nicht gar gefährlich, wenn Krömer das macht, kann und sollte man darüber lachen. Krömer sagt, dass er in China ja bereits Kult ist, Kult Klömel. Das ist tatsächlich lustig wenn er das sagt.

Bojcan als Krömer darf sexistische und rassistische Witze machen, weil die Figur ironisiert und vielfach gebrochen wird. Während er sein fixes Weltbild jedem der es hören oder nicht hören will um die Ohren schleudert, ist er ständig in regem Kontakt zu seinen Mitmenschen, konfrontiert diejenigen mit seinen Vorurteilen, gegen die sie sich richten, schafft Räume für Interaktion. Die Unreflektiertheit und Beliebigkeit seiner Urteile trägt er offen zur Schau und exponiert damit nicht zuletzt auch ihre Lächerlichkeit. Das macht den Feinsinn des Krömerschen Humors aus. Vorurteile sind nicht immer mit Rassismus oder Sexismus gleichzusetzen, es handelt sich um vielschichtige, irrationale Verhaltensmuster, die, nach außen getragen, sogar eine eigene Produktivität entwickeln können. Die Kriterien um zu entscheiden, ob etwas angemessen ist oder nicht, sind schwer wenn nicht gar unmöglich zu definieren und allzu oft entziehen sich einer allgemeinen Bewertbarkeit.

Kurt sagt, dass er vertraglich zugesichert hat, keine Witze über Polen zu erzählen, seine musikalische Bühnenbegleitung ist nämlich Pole und das wäre unfein, Polenwitze in Gegenwart eines Polen zu erzählen. Immer wieder setzt er an, besinnt sich dann aber eines Besseren und sucht sich andere Opfer, doch am Ende, wie sollte es anders sein, kann er sich doch nicht beherrschen und er platzt mit drei Schenkelklopfern über das Autos klauende Nachbarvolk heraus. Das Lachen darüber blieb mir jedoch im Halse stecken als ich mir einiger meiner humorlosen Publikumsgenossen ansah – verstanden sie den ironischen Aspekt des Witzes oder würden sie den Brüller aus der Show gleich morgen ihren Freunden weiter erzählen? In dieser Möglichkeit, Krömer nur auf der Textebene zu lesen, besteht die Schwierigkeit der Figur. In diesem Zusammenhang war ich dankbar, als Krömer zwischendurch einen wie diesen auspackte: "Ja, ick habe Kontakt zu Schwulen. Und jetz sag ick Ihnen noch watt, da wern se staunen: ick habe sogar Kontakt zu Ausländern! Und jetze verrat ick ihnen noch ne janz heiße Info, halten se sich fest: DIE MAUER IS WEG!“

Viele Berliner, die Krömer lustig finden, gehen deswegen noch lange nicht in seine Stand-Up Comedy-Show in den Admiralspalast. Und viele der hier im Publikum sitzenden Leute könnten sich wahrscheinlich im Leben nicht vorstellen, in Neukölln zu wohnen. Zwischen dem inhaltlichen Witz und der Form der Darbietung gerät also irgendwie etwas abhanden, es verändert sich etwas oder es kommt etwas dazu. Wie ein Übertragungsfehler, eine Sendestörung. Dass das Prinzip Krömer nicht zu 100 Prozent aufgeht ist schade, zumindest für mich an diesem Abend. Ob das den Mann hinter Krömer interessiert? Ob Kurt Krömer so etwas wie Sendungsbewusstsein hat? Man weiß es nicht. In einem Interview im Tagesspiegel im September 2006 äußerte sich Bojcan zum Thema politische Korrektheit noch folgendermaßen: „Was habe ich denn davon, wenn ich meine muslimischen Mitbewohner verarsche? Ich mache mich nicht über Ausländer lustig, sondern über Ausländerfeinde. Ich mache doch auch keine Polenwitze, wie man sie vor zehn Jahren über Ostfriesen erzählt hat. Nur wegen der Pointe.“ Diese Meinung hat Alexander Bojcan offenbar geändert. Und dazu kann man ihn, trotz aufkommender Fragen und zaghaftem Unbehagen, nur beglückwünschen.







Sonntag, 11. Oktober 2009

Wissensmacht - Machtwissen. Eine Reihe kritischer Auseinandersetzungen mit Rassismus und kolonialen Kontinuitäten in Universität und Wissenschaften

Commit Berlin e.V. veranstaltet im WS09/10


ab 21.10.2009
jeden zweiten Mittwoch
um 18.30 Uhr im HU-Hauptgebäude (Unter den Linden 6), Raum 3038/3035

Im Rahmen der Kampagne verschiedener Berliner politischer Gruppen zur 125ten Jährung der Berliner Afrika-Konferenz von November 2009 bis Februar 2010 veranstaltet der Studierendenverein Commit Berlin e.V. eine Reihe, in der koloniale Kontinuitäten im Alltag und in Wissenschaftsbetrieben thematisiert werden sollen. Die Veranstaltungen sind Teil der politischen Bildungsarbeit von Commit Berlin und sollen zur Sensibilisierung der deutschen Öffentlichkeit beitragen.
Ausgangspunkt ist die Universität als ein Ort, der den Alltag von Studierenden und Lehrenden wesentlich prägt und an dem vorgeblich universelles Wissen und ‚Wahrheiten’ produziert werden, sich gesellschaftliche Ein- und Ausschlüsse spiegeln, Zugänge zu Realität und Wissen verhandelt werden.
Wir wollen kritisch hinterfragen, was in der Berliner Wissenschaftsbetrieben passiert. Wer kann dort sprechen und worüber? Wessen Stimme wird gehört? Wessen Wissen wird als Wissen anerkannt? Welche Funktion haben diese Ein- und Ausschlüsse für die Selbstkonstruktion der dominanten weißen Wissenschaften?
In Deutschland gibt es kaum Studiengänge, die sich explizit mit Post-Kolonialität befassen, zu viele (weiße) Menschen wissen und lernen nichts über die Berliner Afrika-Konferenz und deren bis heute währende Folgen. Die Auseinandersetzung mit deutscher Kolonialgeschichte und bis heute sicht- und spürbaren kolonialen Denk- und Verhaltensmustern und Strukturen ist noch nicht in der selbsternannten Mitte der Gesellschaft angekommen. Kolonialrevisionismus und Alltagsrassismus gehen Hand in Hand und legitimieren im Deutschland des 21. Jahrhunderts einen kolonialen Raum.
Die Veranstaltungsreihe soll zur Anerkennung eines post-kolonialen Diskurses in Deutschland beitragen und zu einer kritischen Reflexion (vor allem von Studierenden) über gewaltvolle Strukturen in ihrem eigenen Umfeld anregen. Ebenso versuchen wir, eine breitere Öffentlichkeit für alltägliche Rassismen zu sensibilisieren. Wir wollen eine Einführung in diverse Themenbereiche wie Alltagsrassismus, diskriminierende Strukturen in den Wissenschaften oder Deutsch als rassistische Sprache bieten, Denkanstöße geben und zur weiteren Diskussion und Reflexion der behandelten Themen anregen.
Für diese Verhandlungen haben wir die Universität gewählt, denn es ist an der Zeit, dass sich weitere Diskurse und Perspektiven an diesem Ort Platz verschaffen und so zu einer weiterreichenden Transformation beitragen.


ab 21.10.2009 jeden zweiten Mittwoch um 18.30 Uhr im HU-Hauptgebäude (Unter den Linden 6), Raum 3038/3035

21.10. Natasha A. Kelly
Afroism. Zur Situation einer ethnischen Minderheit in Deutschland

4.11. Katharina Oguntoye
Geschichte(n) Schwarzer Menschen in Deutschland

18.11. Dr. Grada Kilomba
Who can speak? University and the decolonization of knowledge

2.12. Dr. Susan Arndt
Rassismus in der deutschen Sprache

16.12. Yonas Endrias
Rassismus in der Wissenschaft - wissenschaftlicher Rassismus

13.1. Aretha Schwarzbach-Apithy
Weiße kolonial-rassistische Lebensart - innere Kolonisierung

27.1. Prof. Dr. Maureen Maisha Eggers
Dekolonisierung als methodisches und methodologisches Projekt der Wissenschaftskritik

10.2. Podium: Interventionen
Strategien zur De-Kolonisierung der Universität und Wissenschaften


Du möchtest mehr Infos und rechtzeitig zu jeder Veranstaltung informiert werden?
Dann schreib an:
veranstaltungen.berlin@com-mit.org
Oder geh auf:
www.commit-berlin.de

Die Reihe wird gefördert durch: EED (Evangelischer Entwicklungsdienst) und Netzwerk Selbsthilfe e.V (
www.netzwerk-selbsthilfe.de)

Möglichkeitsraum I - Eine transnationale Raum Montage, 27.09. - 30.10.2009



Skulpturenpark Berlin_Zentrum zeigt: Wunderland #5
Möglichkeitsraum I. Eine transnationale Raum-Montage

Konzept und Realisation: Angela Melitopoulos

Ausstellungsdauer 27.9. – 30.10.2009
Skulpturenpark Berlin_Zentrum, Kommandantenstrasse & Alte Jakobstrasse

Der ‚Möglichkeitsraum I’ inszeniert Photographien von der militärisch kontrollierten Geisterstadt Varosha in Zypern und aus der Green-Line in Nikosia auf dem Gelände des Skulpturenparks. Auf neu errichteten Plakatwänden sind die Bilder über das gesamte Gebiet zwischen Moritzplatz und Spittelmarkt als ‚Storyboard’ montiert. In der Nähe der Plakatwände lassen sich Telefonnummern finden, über die sich Tonstücke abrufen lassen.

Der ‚Möglichkeitsraum I’ befasst sich mit der Teilung urbaner Räume in Nikosia und Berlin, des kollektiven Gedächtnisses und Archives sowie mit der Rolle der Migration in territorialen Konfliktzonen.

*Bilder:* UN Archive Zypern
*Telefonstücke *(Die Anrufe sind kostenfrei)*:**
*0931 66399 0407: ‘*G*’ von MariaGiovanna Nuzzi
* 0931 66399 0762: ‘*Oskar*’ von S. Sohrabi & G.Fakunmoju
* 0931 66399 2676: *‘Pagani DetentionCenter’*, von Angela Melitopoulos
* 0931 66399 2975: *‘Georgina’* von Angela Melitopoulos

*Ab 19 Uhr auf dem Gelände: *Open-Air-Videoscreening *

*- MariaGiovanna Nuzzi‚* ‚*The Law or to the Desert’*, 14 min Das Video erzählt eine Geschichte vom Einschluss zweier palästinensischer Männer im Flughafen von Dubai. Diese Arbeit konfrontiert mit der Realität gesetzlicher Lücken und hinterfrägt die Beziehung zwischen Sichbarkeit und Staatsbürgerschaft, die für manche Menschen nicht mehr existiert.

*Raphaël Grisey / Bouba Touré*, *58, rue Trousseau, Paris France’*, 2008, 29min. Dieses Video von Bouba Touré für Raphaël Grisey wurde in seiner Pariser Wohnung gedreht. Die Wände der zwei Zimmerwohnung sind voller Fotografien, Poster und persönlicher Erinnerungen, die das Video in zwei Einstellungen zeigt. Bouba Touré verbindet mit diesen Bildern viele politische Kämpfe der letzten 50 Jahre.

*Ines Schaber zeigt Ausschnitte aus Filmen über den Häuserkampf in Berlin Kreuzberg und führt ihren mit Mathias Heyden geschriebenen Text ‚*Hier ist die Rose, hier tanze!* *Or - What if’ *ein*. *Der Text wurde für das von
Stefanie Schulte Strathaus und Florian Wüst herausgegebene Buch ‚*Wer sagt
denn, dass Beton nicht brennt. Hast Du’s probiert? Film im West-Berlin der 80er Jahre* (Berlin: b_books, 2008)" produziert.

*Alana Kakoyiannis*, ‚*Still*’, 2009, 18min. Ein poetischer Dokumentarfilm über Häuser aus der Sicht zypriotischer Flüchtlinge aus dem Norden und Süden der Insel. Die Ergebnisse der Bundestagswahl werden in den Pausen angekündigt.

*Bereits am 26. September 2009 findet zwischen 11 und 18 Uhr eine Tagung in den neuen Räumen von KUNSTrePUBLIK e.V. statt, zu der wir herzlich einladen. Eingeladene Künstler und Wissenschaftler werden ihre Projekte skizzieren und mit Angela Melitopoulos eine gemeinsame Diskussion über den Möglichkeitsraum I führen.

*Teilnehmer der Tagung:*

Alana Kakoyiannis (Filmemacherin, Nikosia) / Screening : "Still"

MariaGiovanna Nuzzi (Video-Künstlerin, London) / Präsentation : *Ontology. How to make the ethics react with the excercise of politics’.*

S. Sohrabi & G.Fakunmoju (EMW, Potsdam,) / Präsentation des Tonstückes "Oskar"
Ines Schaber (Künstlerin, Berlin) / Präsentation : *"Hier ist die
Rose, hier tanze! Or –What if."

Eyal Sivan (Filmemacher, Paris) / Projekt: "*The Common Archive*"
Vassilies Tsianos (Soziologe, Hamburg) / Autor des Buches "Escape Routes"
Michael Willenbuecher, (Kanak-Attack Berlin) / Vortrag : "*Strength in Numbers. Migration, mobility and the pitfalls of a sedentary ontology"

*Ort:* KUNSTrePUBLIK e.V, Konferenzraum. 5. OG, Köpenicker Str. 36-38

*Für ihre freundliche Unterstützung danken wir:*

Mihai.Gesellschaft für Mediaservice; european cultural foundation;
Cineplus
Berlin; autoprint.de

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Für ihre freundliche Unterstützung danken wir / the project is supported by Mihai.Gesellschaft für Mediaservice.; european cultural foundation, Cine + .
autoprint*

Curatorial Comitee
Matteo Pasquinelli (Amsterdam/London)
Tim Voss/Britta Peters (Kunstverein Hamburger Bahnhof, Hamburg)
Pelin Tan (Istanbul)
und KUNSTrePUBLIK e.V.

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Skulpturenpark Berlin_Zentrum
KUNSTrePUBLIK e.V.
Köpenicker Str. 36/38
10179 Berlin
mail@skulpturenpark.org
www.skulpturenpark.org

Samstag, 22. August 2009

Schwein gehabt!


Der langersehnte Impfstoff gegen H1N1 ist da und den deutschen Bundesbürger plagt eine Sorge weniger.

Endlich richtig Sommer in Deutschland! Über 30 Grad! Juhu! Einziger aber schwerer Haken: ich habe Grippe. Badewanne statt Prinzenbad, Hühnersuppe statt Brombeereis, „Das perfekte Dinner“ statt Grillen im Park. Nur das Schwitzen habe ich an diesem angeblich heißesten Tag des Jahres mit den mir unerträglich fröhlich und agil erscheinenden Berlinern gemeinsam. Nach nunmehr geschlagenen drei Tagen, in denen ich sehr geschäftig zwischen Bett und Sofa hin- und herpendle, habe ich mittlerweile den Kontakt zur Außenwelt gänzlich abgebrochen. Denn mein Krankheitsfall macht offenbar nicht nur mir, sondern auch meiner Umwelt arg zu schaffen. Grund dafür ist nicht etwa Anteilnahme, sondern eine ausgemachte weltweit verbreitete Krise namens: SCHWEINEGRIPPE.

Ach, du bist krank? Na hoffentlich ist es nicht die SCHWEINEGRIPPE!


Dein Mitbewohner war zuerst krank? Dann ist er wohl Mexikaner und hat die SCHWEINEGRIPPE eingeschleppt!!

Warst du schon beim Arzt? Du weißt ja, mit der SCHWEINEGRIPPE ist nicht zu spaßen!!!

Manchmal kommt auch nur (und das hört sich für mich schon fast an wie eine versprachlichte Übersetzung von „oink-oink“):

Krank? SCHWEINEGRIPPE- SCHWEINEGRIPPE!!!!

Dabei schnalzt das Reizwort wie eine Kampfsalve über die Zunge, dringt über mein sensibles Ohr ins Hirn, um dann an meinen geschwollenen Mandeln vorbei in den eigentlich von der Grippe verschonten Magen zu wandern und diesen gehörig umzudrehen. Natürlich ist das alles nur ein „Witz“ (wobei sich mir immer wieder die Frage stellt, was daran so verdammt witzig sein könnte). Und da ja in jedem Witz eine gewisse Portion Ernst mitschwingt (im Grunde macht der Ernst den Witz ja erst möglich) kann man im Fall der Schweinegrippe beispielhaft ablesen, wie mediale Konditionierung funktioniert.


Als die ersten Fälle der Grippe im April 2009 aufkamen, war das für die Medien ein gefundenes Fressen. Tonalität und wenig faktenreiches Material machte den täglichen Nachrichtenkonsum zur Seifenoper, die in punkto Spannung einem Wolfgang Petersen Streifen problemlos das Wasser reichen konnte. Im raunenden, apokalyptischen Crescendo verkündete die Sprecherstimme die Zahlen der vermeintlich Neuinfizierten. Im Nu hüpfte H1N1 über den weitgehend Mexikaner-resistenten Zaun hinüber zu unseren US-amerikanischen Freunden, und in Windeseile bahnte sich der Virus auch seinen Weg nach Europa, nach Deutschland und, wie schamlos!, ins mallorquinische Ferienparadies. Während die Menschen in Deutschland sofort panisch durcheinander grunzten, wurde der Ausbruch der Krankheit in Mexiko mit der landestypischen Gelassenheit hingenommen. Neben den verteilten Mundschutzen gab es eine Woche schul- und vorlesungsfreie Zeit und nicht zuletzt eine Menge neuer Witze. Bis auf diese ist von dem pandemischen Ungeheuer nicht viel übrig im mexikanischen Alltag. Die vorerst angenommene Zahl von fast 70 Toten wurde kleinlaut auf 7 herunterkorrigiert, in Deutschland verlief noch kein einziger Fall tödlich. Doch der Homo Phobikus im Endstadium lässt sich von solch langweiligen Zahlen nicht das Haar aus der Suppe nehmen; vor irgendetwas muss man ja Angst haben wenn es schon keine Drogenkartelle, Kriege oder Umweltkatastrophen gibt! Da kommen Terror, Feinstaub und Schweinegrippe doch gerade recht. (Neulich, aber das nur am Rande, bekam ich doch tatsächlich einen Anruf aus den Reihen der äußerst fadenscheinigen Partei Bürgerrechtsbewegung Solidarität [BüSo], die mir auf Mitgliederfang weismachen wollte, dass ein erheblicher Prozentteil der Menschheit in nur wenigen Jahren durch die Schweinegrippe ausgerottet sein wird, wenn wir nicht endlich ihren selbsternannten Heiland Lyndon Larouche an die Macht ließen.)

Wie erfolgreich das Geschäft mit der Massenpanik ist, zeigt in diesen Tagen auch die Berichterstattung über die neue Impfung gegen die Schweinegrippe: Mit Priorität auf den gesellschaftlichen Risikogruppen kann sich nun jeder Deutsche, der denn will, gegen Schweinegrippe impfen lassen. Satte 500 Millionen Euro lässt sich das die Bundesregierung vorerst kosten. Pharmariese Novartis (der übrigens immer noch auf Impfvorräten gegen die Vogelgrippe hockt) teilt sich die gigantischen deutschen Umsätze mit nur einem Mitstreiter. So ist innerhalb von nur vier Monaten ein höchst profitabler Markt entstanden, der der Nachfrage kaum nachzukommen vermag. Zwar haben etliche Länder bereits Bedarf an dem Impfstoff angemeldet, doch es zeichnet sich bereits ab, dass ärmere Länder, die aufgrund mangelnder hygienischer Bedingungen und schwächerer Gesundheitssysteme eigentlich schneller mit dem Impfstoff versorgt werden müssten, keinen gerechten Anteil daran abbekommen werden.

Einziger Trost in diesem Szenario bleibt, dass mir durch den Impfstoff nun endlich ein süffisante Antwort zur Verfügung steht, um Phobikern und Spaßvögeln gebührend zu begegnen: beim nächsten Erkältungswehwehchen, bei dem man mit dem Schweinegrippenfinger auf mich zeigt, entgegne ich einfach:

Ach QUATSCH, da gibt es doch jetzt diesen IMPFSTOFF gegen. Habe mich natürlich SOFORT BEHANDELN lassen – sag mir jetzt BITTE nicht, dass DU nicht GESCHÜTZT bist…?!?


Donnerstag, 23. Juli 2009

Die „Türkin“ Marwa Al-Scherbinis

Wie viele andere Deutsche erinnere ich mich noch gut an den Fall kurz vor Weihnachten 2007, als zwei Jugendliche einen Rentner in der Münchener U-Bahn brutal zusammenschlugen. Besondere Brisanz und Medienaufmerksamkeit gewann der Fall dadurch, dass die jungen Männer, ein Türke und ein Grieche, Migranten waren: wochenlang musste man mitverfolgen, wie über härtere Strafen für von Migranten verübte Gewalttaten debattiert wurde und der Vorfall für den anstehenden Wahlkampf ausgeschlachtet und instrumentalisiert wurde. Verdächtig lethargisch zeigte sich hingegen die Berichterstattung im Fall von Mirwa Al-Scherbinis: die erste von einem Deutschen begangene Straftat, die explizit islamophob-rassistisch motiviert war, wurde in den hiesigen Medien bestenfalls als Randthema behandelt. Eine schwangere Frau und Mutter mit ägyptischem Hintergrund wird auf einem Spielplatz als Islamistin, Terroristin und Schlampe beschimpft, sie wehrt sich mit einer Anzeige und wird dann während des Prozesses mit 18 Messerstichen mitten im Gerichtssaal von ihrem Aggressor getötet. Al-Scherbinis Ehemann wird beim Versuch, seiner Frau zu Hilfe zu kommen, ebenfalls vom Täter verletzt und von der Gerichtsaufsicht angeschossen, die den Mann irrtümlich für den Gewalttäter hielt. So ungeheuerlich die Tat umso verdächtiger das Schweigen der Politführung und die verhaltene Stellungnahme der öffentlichen Meinung: eine Woche lang war seitens der Regierung kein Kommentar zu vernehmen, bis auf wenige Medien blieb der Fall Marwa Al-Scharbinis bestenfalls Randthema der Berichterstattung. Innenminister Schäuble, der im Juni auf seiner selbst ins Leben gerufenen Islamkonferenz noch gönnerhaft verlauten ließ, die Muslime seien nun (wir haben 2009) ein Teil Deutschlands geworden, fühlte sich offenbar zu keiner Aussage berufen, Frau Merkel überließ über einer Woche nach der Tat einem Vizepressesprecher die Arbeit. Erst jetzt, wo der Fall in Ägypten für einen handfesten Skandal gesorgt hat und die so bemüht weiß gehaltene Weste Deutschlands auf dem Spiel steht, hat sich Frau Merkel zu Gesprächen mit Ägyptens Präsident Mubarak angebiedert. Den Vorwurf einer islamfeindlichen deutschen Gesellschaft wird sie auf diesem Wege jedoch nicht entkräften können, wohl erst recht nicht bei den deutschen Muslimen. Denn das schamlose Desinteresse der Öffentlichkeit an dem Fall zeigt vor allem eins: dass Islamophobie und Rassismus gegenüber Muslimen ein gesellschaftsfähiges Breitenphänomen geworden sind.

Wer nicht völlig taub auf den Ohren ist dieser Tage kann „Türken“-feindlichen Gesinnung an so manch einer Ecke begegnen, selbst in meinem Heimatbezirk Kreuzberg. Dazu sei bemerkt, dass „die Türken“ gemeinhin gern definiert werden durch den Phänotyp schwarzes Haar mit dunklen Augen und Augenbrauen. Bei Männern kommen zusätzlich buschige Voll- oder Schnurrbärte, bei Frauen wahlweise auch Kopftücher dazu. Nicht zu verwechseln sind „die Türken“ mit zugezogenen Spaniern oder Italienern, denn die grenzen sich durch den glorifizierten Neu-Berliner Straßenschick von „den Türken“ deutlich ab. So werden Libanesen, Kurden, Araber, Albaner und wer weiß wer sonst noch alle mit in den Türkentopf geworfen. Der fungiert dann, nimmt man noch die Drogenabhängigen vom Kotti, die Klezmer-klampfenden Roma und Sinti und die Autonomen und Penner vor Kaisers dazu, als Szenenbild für das so hedonistische und kreative, skurrile und herrlich billige Berlin, das so schön passt zum neu definierten Leben als Künstler und Gammler. Aber es ist nicht nur das Szenario Neu-Berliner und Türken auf dem Wochenmarkt, an dem man sich fragen muss, was Herr Schäuble mit „Integration auf den Weg bringen“ wohl meint. Auch manch ein Alteingesessener, der in der Stadt mit der dritthöchsten Anzahl türkischen Mitbürger weltweit aufgewachsen ist, geizt nicht mit Vorurteilen; sobald das Thema auf „die Türken“ kommt, gehen die Menschen erschreckend unverhohlen mit ihrer Fremdenfeindlichkeit um. Zur Illustration hier nur einige Beispiele der letzten Zeit:

Sebastian hat was gegen Türken und steht dazu. Ihm wurde schon zwei Mal von Türken das Handy aus dem Rucksack geklaut.

Ich erzähle Christoph, dass ich nach Istanbul fahren werde, die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: was willst du denn da, `ne Dönerproduktion besuchen?

Rayan, deren Mutter in Tunesien geboren wurde, wohnt in Kreuzberg auf der Grenze zu Friedrichshain. Ich erzähle ihr, dass ich lange in Schöneberg gewohnt habe. Sie kennt sich da nicht aus, weil auf ihrem Zugezogenen-Index nur Prenzlauer Berg, Kreuzkölln, Mitte und Friedrichshain vermerkt sind. Ein Kommentar hat sie trotzdem parat: da würde ich im Leben nicht hinziehen, viel zu viele Türken!

Katharina erzählt von ihrer tollen Wohnung. Auf Nachfrage, wo die Wohnung denn sei, erwidert sie: in Neukölln, na ja, die Gegend ist nicht so (Gesichtsausdruck sagt: du weißt schon was ich meine), aber die Wohnung an sich ist ein Traum, superbillig und bei uns (Blick und Stimme werden gesenkt): keine Türken im Haus.

Wer das harmlos findet, kann sich die selben Beispiele ja mal mit Juden vorstellen. Ich wundere mich schon lange nicht mehr darüber, dass man ausgerechnet bei mir, die mit alltäglichen Rassismen relativ gut vertraut ist, solch dämliche Kommentare ablädt. Zum einen zeigt das noch klarer, wie unbedarft und verharmlosend mit dem Rassismus gegen „die Türken“ umgegangen wird, denn die Mehrheit der Gesellschaft würde ihn als solchen gar nicht identifizieren (was am Rande bemerkt die tückischste Eigenschaft des Rassismus ist). Zum zweiten offenbart dieses Verhalten die unbewusste Überlegenheitsattitüde: Du bist eine von uns, dich akzeptieren wir - wovon wir reden sind die anderen.

Welches Land wenn nicht Deutschland müsste sensibilisiert sein auf die rassistischen Tendenzen, die sich in seiner Gesellschaft breit machen? Der Fall Marwa Al-Schabiris hätte weitgehende mediale Aufmerksamkeit erregen, er hätte Missstände benennen und Diskussionen anregen müssen und ein deutliches Zeichen setzen müssen gegen die weit verbreitete Islamophie im Land. Die Reduzierung auf eine Gewalttat aus dem radikal-nazistischen Lager und die Ignoranz der Umstände, die zu der Tat führten, zeigen jedoch leider nur, dass Deutschland viel weniger dazu gelernt hat, als es der Welt so gern weiß machen will.

Montag, 18. Mai 2009

AUFGESCHNAPPT...


Neulich in der Berliner U-Bahn: ein unruhig und leicht verdrogt wirkender Typ vom Schlage Ozzy Osbornes stellt sich wackelig aber bereit zum Aussteigen vor die Bahn-Türen und wartet tapfer die nächste Station ab. Als der Zug im Bahnhof Halt macht, öffnen sich die Türen auf der gegenüberliegenden Seite des Zuges. Ozzy ist jetzt weit über seinen Normalzustand hinaus verwirrt und keift mich vorwurfsvoll an, „Ey, wo is`n hier der Ausgang?“ Überrascht über die dumme Frage deute ich mit einem Kinnnicken auf das in seinem Rücken offen klaffende Zugloch. Ozzy schafft die halbe Drehung und trottet unter unverständlichem Gebrabbel von dannen. Während ich ihm mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid nachblicke, kommentiert ein neben mir sitzender, monoton Bier trinkender Mann in Handwerkskluft trocken: „Et jibt hier keenen Ausjang.“ Ich denke, klar gibt es den, sogar Ozzy hier hat ihn gefunden, aber gesagt hab ich lieber nichts.

Samstag, 18. April 2009

Zur Ausstellung „stagings made in NAMIBIA. postkoloniale fotografie/post-colonial photography.“ im Kunsthaus Bethanien, Berlin

Es ist schon komisch mit den Aufhängern, um einen Text zu schreiben. Manchmal kommt und kommt kein Thema vorbei und manchmal krallt sich eines dermaßen an den Hals, dass man es erst wieder los ist wenn es endlich in ein sprachliches Korsett gebannt ist. Wobei wir schon mitten drin sind, denn wenn wir schon gerade davon sprechen, kann ich auch gleich das ablassen, was mir gerade die Luftröhre einschnürt: die Ausstellung „stagings made in NAMIBIA. postkoloniale fotografie/post-colonial photography.“ Die Macher waren drei Monate in Namibia und statteten dort lebende Menschen mit Einwegkameras aus, der Auftrag: das Thema der deutschen Kolonisierung fotografisch spiegeln. Nun sollte der aufmerksame Leser bereits hellhörig werden, denn tatsächlich handelte es sich bei dem Vorhaben um ein Konzept, was in Deutschland „für“ Namibianer entwickelt worden war und bei dem eben diese im festgelegten Rahmen agieren sollten. Nun geschah aber folgendes: statt sich um das Thema Kolonisation zu scheren, fotografierten die Namibianer lieber sich selbst oder ihre Freunde, Bekannten und Familienmitglieder. Auf dem Introtext zur Ausstellung wird dieser Verlauf des Projekts dann als „charmant entgleist“ kommentiert und dann möglichst kompliziert uminterpretiert in eine Bilderschau, die ein Gegengewicht schaffen soll zu den gängigen Bildern hungernder namibischer Kinder, die wir aus Deutschland so kennen. DAS war nun richtig interessant, bis heute hatte ich nämlich gar nicht gewusst, dass es in Deutschland ein so differenziertes Namibiabild gibt – wir wissen, wie hungrige Namibianer aussehen! Und das, obwohl es in Namibia nie eine eklatante Hungersnot gegeben hat und so gut wie nie Nachrichten aus dem Land in unser sorgsam gesiebtes Medienbild sickern.
Statt also der Aufforderung Folge zu leisten, machten die Teilnehmer, was sie wahrscheinlich immer machen, wenn sie mit Kameras hantieren und lichteten sich selbst ab. Was von der Machern als „Entgleisung“, nein mehr, „charmante Entgleisung“ dargestellt wird, gibt hübsch Aufschluss über ihre Haltung: sie hatten die Schienen (fest-)gelegt auf denen der Zug fahren sollte, doch der Zug kam durch wenig fachkundige Insassen vom Weg ab. Die Wortwahl „charmant“ kann dabei leider nur verstanden werden als süffisante Überlegenheitsgeste, es scheint als spräche eine Nerven gestählte Kindergärtnerin von einem Haufen ungezähmter Kinder, die in ihrer Naivität und wilden Produktivität doch liebenswert sind und deren Ergebnisse man dementsprechend huldigen muss. Und so kann der interessierte Besucher nun die einmalige Erfahrung machen, Afrikaner in ihrer gewohnten Atmosphäre auf Fotos anzugucken: so sieht es also aus, wenn Afrikaner auf der Straße stehen! Zu Hause auf dem Sofa sitzen! So sieht es aus, wenn namibische Kinder gemeinsam spielen! Und der Aha-Effekt: keine Hungerbauchkinder, die traurig aus der Wäsche gucken.

Leute die so was machen, lassen auch Schimpansen mit Fingerfarbe Kunstwerke malen, um deren Intelligenz zu beweisen. Leben wir Deutschen wirklich derart auf dem Mond, dass wir es nötig haben, Afrikaner beim Biertrinken zu beobachten, um davon überzeugt zu werden, dass Afrika nicht aus traurig dreinschauenden Menschen besteht, die mit ihren Mündern das Wort 'Hunger' formen? Das Projekt (übrigens vom Hauptstadtkulturfond gefördert) erzählt herzlich wenig über Namibia und seine Menschen, dafür aber einiges mehr über seine Macher und Geldgeber und deren immer noch existierenden und sich fortschreibenden kolonialen Herrschermodi. Zwei interessante Dinge habe ich dennoch entdeckt: 1) Die Tatsache, das schwarze und weiße Namibianer prinzipiell nicht auf demselben Foto zu sehen sind, spiegelt authentisch die soziale und kulturelle Grenze im Land. Und 2) den Deutschen haben die Namibianer nicht nur die Schrecken des Kolonialismus, sondern auch Schrankwände vom Typ Eiche Rustikal zu verdanken.

Man kann einen gewissen Trost finden in stagings made in Namibia wenn man sich bewusst ist, was die Leute aus dem ursprünglich gewollten Bedeutungskontext gemacht haben. Dass die Macher trotzdem den Versuch unternommen haben, diesem sinnfreien Bilderblumenstrauß einen verkopften Bedeutungskontext überzustülpen, passt ins Muster.
Hätte man ein Projekt auf Augenhöhe machen wollen, so hätte man es von Anfang als Kooperation initiieren müssen, hätte namibische Fotografen, Künstler, Wissenschafter oder auch Privatleute anfragen können, die das Thema Kolonialismus bearbeiten oder sich dafür interessieren. Die Anmaßung des ganzen Projektes liegt leider bereits in dem Denken, das sich der moderne Querschnitt der Namibianer mit seiner Kolonialgeschichte auseinandersetzt (ich habe gerade große Freude daran, mir vorzustellen, was dabei rausgekommen wäre, wenn ein namibischer Kurator das gleiche Vorhaben mit Deutschen hätte durchsetzen wollen).
Für das, was stagings made in Namibia ist, hätte man nur mal die hier lebenden Namibianer (ja, die gibt es) nach ihrer Fotobox fragen müssen und stattdessen das Geld für ein sinnvolleres, weniger pseudoelitäres Projekt ausgeben können. Die Projektverantwortlichen nennen ihr Werk „eine kollektive Versuchsanordnung“. Was auch immer das sein soll, es sagt eigentlich schon alles.