Montag, 5. Januar 2009

In the mood for love

Die Industriemetropole Monterrey, mit Guadalajara die zweitgrößte Stadt Mexikos, ist nicht gerade das, was man als Europäer mit hohem qualitativem Lebensstandard verbinden würde. Für die Einwohner ist das anders, denn nirgendwo in Mexiko ist das Pro-Kopf-Einkommen so hoch, gibt es soviel Arbeit, haben die Menschen so viel Geld. Monterrey ist die teuerste Stadt Mexikos (für das europäische Niveau natürlich trotzdem noch lächerlich günstig) und bezahlt seine kapitalistische und US-amerikanische Ausrichtung offenbar mit dem fast gänzlichen Fehlen von Kulturraum. Trotz der mehr als vier Millionen Einwohner ist der Zirkel an Kunst- und Kulturschaffenden höchst überschaubar: so gibt es zum Beispiel außer den großen, repräsentativen Museen kaum unabhängige Galerien und Ausstellungen und das Theater beschränkt sich fast ausschließlich auf flache Volkskomödien. Die Kinolandschaft bilden genau zwei in ganz Mexiko verbreitete Ketten mit überwiegendem Mainstream Programm, hinterher tröpfeln nur vereinzelte Vorführungen in den spärlich gesäten, alternativen Kulturzentren.
Eines dieser besagten Zentren fiel mir eines Tages ins Auge. Gezeigt werden sollte „In the mood for love“ von Wong Kar-Wai, jener Film um die hoffnungslose Liebe zwischen zwei mit jeweils anderen Partnern verheirateten Menschen. Um diese cineastische Bildungslücke zu schließen, machte ich mich mit einer Freundin also auf die Suche nach dem Kino. Angekommen waren wir ganz verzückt – der Ort war mehr Videothek als Kino und hatte alles was das Herz des Filmfreundes begehrte im Repertoire. Da standen von Triers neben Buñuels und Godards neben Allens, alle säuberlich aufgereiht und bereit zur Ausleihe. Zu alldem Überfluss bot der Laden sogar Kaffee an (eine Café Kultur gibt es in Monterrey nämlich auch nicht, außer man möchte Starbucks und das McCafé als solche bezeichnen). Im Kaffee- und Kinohimmel stöberten wir uns also erstmal durch die Regale. Außer uns und dem verstrahlten Typen, der uns Kaffee machte, war kein Schwein im Laden und unser Ansprechpartner machte auch kurz vor Vorstellungsbeginn so gar keine Anstalten, Instruktionen über den weiteren Verlauf des Kinobesuchs zu geben. Ich sprach ihn also selbst an und fragte nach dem Film. „Welcher Film?“ „Na, In the mood for love.“ Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet und so zeigte ich ihm die in meiner Zeitung abgedruckte Information. „Ach so, ja. Ja gut, dann guckt euch den halt an“, sagte der Verstrahlte und suchte das Regal gemächlich nach dem Film ab, zog ihn schließlich heraus und verschwand in einen der hinteren Räume. Als er zurückkam war er für seine Verhältnisse richtig lebendig und sagte: „Es sind noch zwei andere Leute gekommen, ihr könnt also im großen Saal gucken“.
Der große Saal stellte sich heraus als ein drei Mal drei Meter großer Raum mit Flachbildfernseher und DVD-Player, zwei Sofas und einem spießigen Couchtisch mit mittig positionierter Blumenvase. Ein sensationeller Moment. Die angekündigten Anderen, ein eng aneinander gefläztes und uns feindselig beäugendes Pärchen, hatte sich bereits vorm Bildschirm postiert (komisch, wo und wie waren die denn unbemerkt reingekommen? Hatten wir doch die Veranstaltungsinfo als erste brandheiß ans Fachpersonal weitergegeben..). Wir setzten uns auf das noch freie Sofa, begrüßten die Anderen und bestellten beim Verstrahlten die üblichen Dosenbiere. Dann legte er noch den Film ein, erklärte uns die Fernbedienung und ab der Film. Die große Ernüchterung kam dann nicht nur durch das aufmüpfige Aufsurren der Klimaanlage, die bei 38 Grad Außentemperatur unerbittlich 15 Grad kalte Chemoluft in den Raum blies, sondern auch durch „In the mood for love“ selbst, den ich – ich hatte es verdrängt – schon mindestens fünf Mal auf den dritten Kanälen in Deutschland zu einem Drittel oder Viertel oder Achtel gesehen hatte und der mich durch seine wanna be arty Ästhetik schon viele Male zum Umschalten gezwungen hatte. Hier ging das nun leider nicht und so inspizierte ich aus Mangel an Alternativen diese ziemlich abstruse Räumlichkeit etwas genauer. Neben der Tür, durch die wir hereingekommen waren, gab es noch eine andere Tür, die, pikant pikant, in ein kleines Badezimmer mit Dusche führte. Außerdem war die Außentür doch tatsächlich mit einem Riegel von innen verschließbar! Der eigentliche Sinn dieses Etablissements war nun auch uns klar, und sieh da, damit erklärte sich auch der pathologische Gesichtsausdruck des gelangweilt Erdnüsse vertilgenden Pärchens auf Sofa Número Uno. Pärchen hatte den Titel des Films sicher nur als illustres Beiwerk gewählt und wir hatten ihnen die Nummer ordentlich versaut. Halb erfroren suchten wir noch während des Abspanns verschämt das Weite und auf dem Weg nach draußen fiel mir noch der lange Flur mit den vielen anderen Türen auf, die wohl zu den „kleinen Sälen“ führten.

Das Aufspüren von Kulturbetrieben war in Monterrey immer schon ein Abenteuer gewesen, wenngleich es nicht immer so kafkaesk zuging wie an diesem Abend. Später nachgefragt fand ich heraus, dass vielen jungen Mexikanern in Monterrey das Motel im Videothekenkostüm natürlich bekannt ist. Für unser Pärchen, das wir durch unsere Anwesenheit ja gewissermaßen gezwungen hatten, den Film anzusehen, war das Gezeigte dann wohl weniger illustre Untermalung als ironisches Reality TV: nach einem gescheiterten Treffen in ihrem „Hotelzimmer 2046“ trennten auch sie sich an diesem Abend sehnsüchtig, um frustriert zurückzugehen in ihr eigenes Dogma, ergo in ihre Familien, von denen so viele den vorehelichen Sex nach wie vor als Sünde verurteilen.

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